In Halle an der Saale produziert Jörg Hündorf einen Senf, wie er ihn noch aus DDR-Zeiten kennt. Damit erhält er Deutschland ein wunderbar schmeckendes Stück kulinarischen Kulturguts
Von Sabine Knappe
In der DDR, meint Jörg Hündorf verschmitzt, “haben wir eigentlich zu allem Senf gegessen.” Schon als Kind mochte er den scharfen Mostrich mit dem damaligen Festpreis von 37 Pfennig pro Glas. “An jeder Ecke gab es eine Würstchenbude. Außerdem aßen wir Rumpsteak Strindberg, Braten mit Senfkruste, Senfsaucen zu Fisch und Eiern, Senf zu Käse und vielem mehr.”
Inzwischen ist der 42-jährige selber Senfmüller in Halle an der Saale. “Nach der Wende schmeckte der Senf einfach nicht mehr. Es fehlte ihm an Schärfe.” Während der gelernte Orgelbauer mit seinem Bruder Hubert und seinem Vater Willi Hündorf die traditionelle Familienmetzgerei in einen Biobetrieb umwandelte, experimentierte er mit Senfsaat — auf der Suche nach dem verlorenen Geschmack.
Im Hinterhaus des hübschen Backsteingebäudes, in dem die Familie wohnt und arbeitet, begann er, gelbe und braune Senfsaat erst im Mörser zu zerkleinern. Darauf folgten eine Kaffee- und eine Mohnmühle; heute arbeitet er mit einer alten Kegelmühle, in der ursprünglich Wurstbrät hergestellt wurde. Die scharfen Ergebnisse nahm Hündorf mit auf Tournee: Bis vor kurzem spielte er als Keyborder und Schlagzeuger in diversen Bands und gab bei den Feten nach den Konzerten seinen Senf dazu. “das waren richtige Erfolgserlebnisse”, erinnert er sich, “wenn die Jungs von den Bikerclubs mich baten, meinen Mostrich das nächste mal wieder mitzubringen.”
Der Georgsenf wurde unter Rockfans und im Bekanntenkreis ein Renner und Jörg Hündorf immer perfektionistischer. Er probiert unterschiedliche Senfsaaten aus, dazu Gewürze, Kräuter, Wein oder Traubenmost, und ist dabei doch ein Purist. “Vier Sorten reichen eigentlich für die Küche, alles andere verwirrt nur”, meint er und produziert seinen Georgsenf Classic, einen weiteren Senf mit Sommerblütenhonig, einen Senf mit grünem Pfeffer aus Südindien und den sogenannten “Herrensenf”, der, mit Weißwein und Zitrone gewürzt, kräftiger und intensiver ist als die anderen. “Schließlich gab es auch immer Damensenfe, die milderen”, kommentiert Hündorf die Geschlechtsbezeichnung.
“Die Rezepte der meisten Senfe sind bis heute ein großes Geheimnis”, bedauert er. Aber es hat auch Vorteile, unbelastet an ein traditionelles Produkt zu gehen. Seine Senfe sind biozertifiziert. Außerdem liebt Hündorf kurze Wege. Zur Würzung verwendet er nicht nur Honig von einem Imker in der Umgebung, sondern auch Halloren — Siedesalz aus seiner Heimatstadt. Die gelbe Senfsaat kommt von Bauern aus dem Hohenloher Land und von einem Betrieb südlich von Halle.
Dazu hat Hündorf ein ungewöhnliches Projekt begonnen: Mit der Erfurter Saatgutfirma Rose beginnt er, in Deutschland wieder braune Senfsaat anzubauen. Die beziehen alle Produzenten bislang vor allem aus Kanada — aber dort, befürchtet der Senfmüller, könnte gentechnisch veränderter Raps, der sich mit Senf kreuzen kann, aus der Biosaat schon bald eine Gen-Saat machen. Apropos kurze Wege: In Halle liefert der Senfmüller seine Ware auf dem Fahrrad aus.
Jörg Hündorf arbeitet mit dem Kaltmahlverfahren. Erst wird die Senfsaat in einem Verhältnis von zwei Drittel braunem und einem Drittel gelber zusammen mit den Gewürzen trocken gemahlen. Dann gibt der Senfmüller je nach Sorte Branntweinessig, Weißwein und Wasser dazu. Die Maische wird gerührt und danach zweimal in der Wurstmaschine vermahlen. Dabei wird die Masse nie Wärmer als 30 Grad, da sonst die Schärfe und die ätherischen Öle verloren gingen. Zwei Tage ruht der Senf bevor er in Gläser und Steinzeug abgefüllt wird. Auch hier zeigt Hündorf seinen Einfallsreichtum: Die Abfallmaschine stammt aus dem Imkerbedarf, und die Steinzeugtöpfe verkorkt er mit einer umgebauten Zitruspresse.
Zweimal die Woche ist Senftag, das ergibt nicht mehr als 150 Liter. Wer davon einen Topf ergattert, hat Glück. Der Geschmack ist so, wie Jörg Hündorf ihn kennt und mag, die Qualität außergewöhnlich dank des großen Anteils brauner Senfsaat, die Aroma und Schärfe bestimmt. Der Senf ist mittelfein, dabei cremig und hat einen eindrückliche komplexe Schärfe.
Der heilige Georg ist übrigens Schutzpatron der Müller, die Senfmühle hat in Sitz in der Georgstraße. “Und Jörg ist auch eine Abwandlung von Georg”, erklärt Hündorf mit bescheidenem Stolz — ein sehr persönliches Lebensmittel!
Sabine Knappe
Fotos: M. Dölle