Georgsenf - Senfmühle Jörg Hündorf

Der Tagesspiegel”, Berlin (online) — 04/2007
Senf, den man gern dazu gibt

Unsere monatliche Probierrunde verkostete mittelscharfe Sorten deutscher Herkunft aus dem Berliner Handel. (Der Sieger ist Georgsenf!)

Von Thomas Platt

Wenn es denn so et­was wie eine kuli­nar­ische Ro­man­tik gibt, dann gehören zu ihr ganz bes­timmte Lebens­mit­tel. Brot, Salz und But­ter oder Schmalz wären wohl an er­ster Stelle zu nen­nen. Dann der Speck, der Honig und nicht zulet­zt auch der Senf, der unter den „go­tis­chen Speisen“ sozusagen die Rolle des Land­sknechts ein­nimmt. Ähn­lich wie bei Märchen und Sagen sieht die Ro­man­tik deren Ur­bilder sozusagen im Schoß des Volkes ruhen und feiert sie als Sinnbilder des Un­ver­fälscht­en, Ehrlichen und Echt­en. Allerd­ings ent­fer­nen wir uns je­den Tag einen weit­eren Schritt vom Ur­sprung, und in der Gegen­wart bleibt sowieso kaum Raum für Mythen.

Aus dem Senf – einst Vasall der Wurst – ist längst ein Trash-Pro­dukt gewor­den, und es ste­ht in Frage, ob er diesem Sta­tus wieder wird en­trin­nen kön­nen. Gle­ich mehrere Senfmühlen, die noch vom Geist der Man­u­fak­tur be­seelt sind und nach herkömm­lich­er Weise ar­beit­en, ver­suchen mit einigem Ver­pack­ungs-Aufwand, das Anse­hen der Paste zu heben. Doch gle­ich die er­sten Proben vom mit­telschar­fen Typ aus Deutsch­land, die die monatliche Tafel­runde im Ho­tel Bran­den­burg­er Hof im Bei­sein der Gast­ge­ber, Chefkoch Bob­by Bräuer und Di­rek­tor Markus Otto Graf, dies­mal verkostete, bestätigten eine Ver­mu­tung, die nicht von unge­fähr kam: Im Na­men des Al­therge­bracht­en wird em­sig dilettiert.

Dass die gelbe beziehungsweise braune Saat für sich genom­men noch kein au­then­tis­ches Aus­drucksmit­tel ist, spürt man am berühmten Gui­do Breuers „Moutarde de Mon­tjoie Ur-Rezept“ aus dem KaDeWe deut­lich; ob­wohl auf den Basalt-Lava-Steinen ein­er über hun­dert Jahre al­ten Senfmüh­le zweimal gemahlen, er­re­icht der über­raschend milde, mit ho­hem Süßan­teil verse­hene Geschmack des Breis nicht ein­mal den eines durch­schnit­tlichen Weißwurst-Sen­fs. In der Salat-Vinai­grette allerd­ings spielt er seine Fähigkeit aus, Öl und Wass­er gut zu ein­er dauer­haften Emul­sion zu verbinden.

Noch mehr als das geschmack­lich keineswegs unan­genehme Erzeug­nis aus der Eifel ent­täuschte der Nord­häuser Dop­pelko­rn-Senf aus der „Kun­st­müh­le Kleinhettstedt/Thüringen“, den die Con­fis­erie Mélanie an­bi­etet. An der Zu­gabe von Schnaps hat es nicht gele­gen, son­dern an et­was Grünem und Un­vol­lkomme­nen, das die ziem­lich trock­ene Paste wie aus un­reifen Körn­ern gemacht er­scheinen ließ. Die zunächst stark nach vorne tre­tende ätherische Schärfe ver­dampft im Nu. Bei Mélanie ste­hen auch die be­merkenswerten Kräuteröle des Meck­len­burg­er Sternekochs Michael Lau­men im Re­gal sowie dessen „Kloster Rühn Wild­kräuter Senf“ (auch bei Ga­le­ria Gourmet). Er beruht auf ein­er Idee, die in der Prax­is aber nicht funk­tion­iert. Denn der Ver­such, Kräuter in Senf zu kon­servieren, führt dazu, dass sie ihrer­seits den Sen­fgeschmack an­nehmen, was eine Art al­t­fränkischen Pesto ergibt.

Schade ist es nur um den sich­er gemacht­en Senf, der mit ein­er prick­el­nden Säure und au­then­tis­chen Tö­nen auf einen säch­sis­chen Konkur­renten hin­deutet: Wie die vor­ge­nan­nten Sorten erzeugt Jörg Hün­dorf seinen „Georgsenf Clas­sic“ (aus der Ga­le­ria Gourmet am Alexan­der­platz) im Kaltmahlver­fahren, das der Saat mehr Eigen­tüm­lichkeit be­wahrt. Doch im Gegen­satz zu Breuer bezieht er seine Ware nicht aus Kana­da und Schwe­den, son­dern aus der El­ster­aue südlich sein­er Heimat­stadt Halle sowie aus dem Ho­hen­lo­his­chen, und un­ter­stützt deren veg­etabil-scharfe Kon­tur mit Hal­loren-Siedesalz und et­was Rüben­saft. Beim Pro­dukt des erst seit gut drei Jahren prak­tizieren­den Senfmüllers spürte Bob­by Bräuer ju­gendlichen Elan. „Er prick­elt und duftet, ist klar als das konzip­iert, was ich lieber Mostrich als nur Senf nen­nen würde, und be­sitzt dazu noch eine Tiefe, die ich vom franzö­sis­chen Spitzensenf nicht kenne“, sagte der Koch des Hotel­restau­rants „Quadri­ga“ und notierte sich die In­ter­ne­tadresse: www.georgsenf.de.

Wie bei der De­likatesse aus der Hal­lenser Georgstraße find­et der Zweifel eben­falls kaum eine Lücke bei der mit­telschar­fen Sorte aus der „Schw­ert­er Senfmüh­le“, die von „Brot & But­ter“ nach Berlin ge­bracht wird. Auf der Zunge fühlt der Schw­ert­er sich saftig und beina­he schau­mig an, löblich an­gesichts der üblichen Schwere des ein­heimis­chen Körn­er-Chut­neys. Er zeigt echte, nicht mit Kurku­ma geschönte Farbe, ent­fal­tet aber einen gewiss edlen Es­sig et­was zu aus­geprägt und ist im Kernaro­ma ein biss­chen weniger präg­nant als Bräuers Liebling — in­s­ge­samt ein sicher­er zweit­er Platz.

Von der Re­al­ität der bei­den Spitzen­re­it­er war es ein weit­er, beschw­er­lich­er Weg für die Runde, um zu einem Senf aus in­dus­trieller Fer­ti­gung zu gelan­gen, der wenig­stens eine lobende Er­wäh­nung wert ist. Ab­gründe, die be­deu­tend tiefer sind als jed­er Sen­ftopf, tun sich bei je­nen Marken auf, die ange­blich einst der Stolz des Os­tens gewe­sen sind – und wohl eher einen let­zten Anstoß zur Re­pub­lik­flucht geboten haben dürften. Sowohl der von „Jütro Feinkost“ ver­fer­tigte Orig­i­nal Jüter­boger Senf, der all­ge­gen­wär­tige „Bautz’ner“ Senf sowie „Al­tenburg­er Land“ sind sich auch in ihrer heuti­gen, der Mark­twirtschaft angepassten Gestalt ir­gend­wie treu geblieben: Stechen­der Bran­ntwein-Es­sig engt einem die Nüstern, während sich auf der Zunge eine un­natür­liche Süße im Vere­in mit ein­er Menge Salz bre­it­macht. Das Senfmehl sel­ber scheint di­rekt von der Streck­bank der Ver­längerung zu kom­men – so wenig tritt es hin­ter einem merk­würdi­gen Geruch wie dem von Tulpen­grün oder Blu­men­stie­len in Erscheinung.

Dem typ­is­chen Sen­fton begeg­net man viel eher, wenn man ein Glas mit Sen­fgurken zum er­sten Mal öffnet und den aus­tre­tenden, le­icht kribbel­nden, et­was an Kohl erin­nern­den Duft so­fort mit der Nase ein­fängt. Er find­et sich je­doch lediglich weit im Hin­ter­grund der Su­per­markt-Sorten – etwa im ox­ida­tiv­en „De­ve­ley“ aus dem Schlumpf-Glas oder dem pul­vri­gen „Thomy“. Lang­weilig und bar jed­er In­ten­sität ver­har­ren „Kühne“, „Fren­zel“ und „But­ter Lind­ner“, während „Hei­den“ von Aldi de­r­art mit ar­ti­fiziell wirk­en­dem Aro­ma zugek­nallt ist, dass sich dem Hoteldirek­tor Graf der Ver­dacht auf­drängte, alle Kun­den­vor­lieben zu­gle­ich soll­ten mit einem Senf sozusagen auf einen Schlag be­di­ent werden.

Händlmair’s“ mit­telschar­fer Senf ir­ri­tiert mit ein­er eben­falls kün­stlichen, mehr in Rich­tung Salmi­ak zie­len­den Note und „Tono­li“ Tafel-Senf im Bier­sei­del möchte of­fen­bar unbe­d­ingt mit seinen Ost-Kol­le­gen gle­ichziehen. „Tar­tex“ De­likat­ess Senf sowie „Neu­co“ De­likat­ess Senf mit­telscharf aus dem Bio-Su­per­markt schla­gen sich auch nicht viel bess­er – so dass „Löwensenf“ medi­um sowie „Zw­er­gen­wiese“ Bio-Senf ganz über­raschend Ehre ein­le­gen dür­fen für den All­t­ags- oder Jahrmarkts-Typ.

Er­ster­er stellt gewis­ser­maßen einen Daniel unter den Löwensen­fen dar, der einem keine Trä­nen in die Au­gen treibt wie jen­er Meer­ret­tich- Senf, der den Nim­bus des Düs­sel­dor­fer Tra­di­tion­sun­ternehmens be­grün­dete. Aus einem Gewühl von An­klän­gen, aus dem zunächst nur Es­sig wie eine Flamme schim­mert, schält sich ein ger­ades Aro­ma, zu dem sich Senf­pul­ver und Zuck­er verbinden. Ähn­lich wie Löwensenf, aber doch noch einen Tick niveau­voller, weil weniger süß, präsen­tierte sich die glat­te Paste von „Zw­er­gen­wiese“, die auf den drit­ten Platz kam. So ähn­lich wie das Un­be­wusste dem Men­schen, gibt der kon­trol­lierte Salz- und Zuck­er­an­teil dem Senf das nötige Gewicht, seinen Bal­last, damit er nicht der Spiel­ball von Würstchen wird.

Brot & But­ter, Char­lot­ten­burg, Hard­en­bergstr. 4–5, Tel. 2403 3844
Con­fis­erie Mélanie, Char­lot­ten­burg, Goethestr. 4, Tel. 313 83 30
Ga­le­ria Gourmet im Kaufhof, Mitte, Alexan­der­platz, Tel. 24743–0
Bran­den­burg­er Hof, Wilmers­dorf, Eisleben­er Str. 14, Tel. 21405–0

er­schienen im “Der Tagesspiegel”, Berlin (on­line) — 04/2007
Foto: Run­der Tisch zum The­ma Senf: Quadri­ga-Küchenchef Bob­by Bräuer beim kri­tis­chen probieren.
Doris Spiekermann-Klaas

 

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