Georgsenf - Senfmühle Jörg Hündorf

TAZ”, Berlin — 23./24. Februar 2008
Schärfe der Kindheit

Senf hat ein­mal alles zugek­leckst: die Bulette, die Wurst, den Bahnhofsboden.
Jet­zt ist die scharfe Pampe auf ein­mal wieder Gesellschaftsfähig
VON TILL EHRLICH

Wenn Gerüche Alb­träume aus­lösen kön­nten, dann wäre es bei mir der Geruch von säuer­lichem Senf; es ist der stechende Geruch des über­säuerten Os­tens, der sich mit Staub und Aus­dün­stun­gen von Kip­pen und ver­schüt­tetem Bier mis­cht. Dieser Sen­fgeruch ist auch ein Bahn­hof­s­geruch, er ruft Bilder her­vor, in denen …

.. Men­schen hastig Bock­würste ver­schlin­gen. Würste in Sen­fk­leckse schieren und graue Wurst­pap­pen wie totes Laub auf gefli­este Bahn­hofs­bö­den fall­en. Der Geruch der Wurst ver­flüchtigt sich, die Pen­e­tranz des Sen­fs nicht.

Of­fen­sichtlich gab es mal einen Zusam­men­hang zwis­chen schlechtem Geschmack und Senf. Das Stig­ma des Bil­li­gen und Piefi­gen haftet dem Senf teil­weise noch im­mer an. Auch der sprich­wörtliche Senf, der aus Gewohn­heit über­all dazugegeben wird, selb­st wenn es nicht passt, hat seinen Ur­sprung wohl in ein­er kuli­nar­ischen Un­kul­tur, die den Eigengeschmack der Speisen niv­el­liert und Ein­heits­geschmack bevorzugt. Nicht nur bil­liger Tafelsenf kleckst tra­di­tionell rou­tiniert alles zu, auch mit ital­ienis­chem Feigensenf wird neuerd­ings viel herumgek­leck­ert. Feigensenf ist das Chut­ney der Nullerjahre.

Bis vor fün­fzehn Jahren galt Tafelsenf bei uns als Spießers Liebling, als begehrte Schmier­paste, die für reak­tionäres Mi­lieu, ja völkische Kon­no­ta­tion stand. Dann kam Di­jon, die Ret­tung. Di­jon­senf hat den deutschen Senfhor­i­zont er­weit­ert, seit­dem ist Senf in der am­bi­tion­ierten Küche ein The­ma und nicht allein auf Im­biss­bu­den und Haus­man­nskost beschränkt.

Der vul­gäre Reiz der Derb­heit ‘hat den Sen­fk­lecks oblig­at zu Bulette, Bratwurst und heißer Wurst gemacht. Doch Senf bildet dort, wo er hin­passt, ein in­ter­es­santes pikantes Gegengewicht zu fet­thalti­gen Speisen. Der Genuss beste­ht dann in dem Glück die Un­mit­tel­barkeit und Dichte ein­er defti­gen Speise zu er­leben; das kommt beson­ders in der geschmack­lichen In­ten­sität von warmem Fett zur Ent­fal­tung. Heißer Schinken, Schweine­brat­en, ge­bratene Kalb­snierchen oder gesiedetes Ochsen­fleisch mit Senf kön­nen et­was Her­rlich­es sein. Kalte Speisen und Senf, das ist eine schwierige Verbindung, die fe­in­ste Ab­stim­mung er­fordert — Senf do­miniert le­icht den Geschmack.

Im The­ma Senf ist gewiss noch mehr Po­ten­tial drin, wie der Blick auf die en­glis­chen und franzö­sis­chen Senfe zeigt. Beson­ders in Frankre­ich gibt es eine Tra­di­tion, die den Senf zu et­was De­likatem en­twick­elt hat und aus der kul­tivierten Küche nicht mehr wegzu­denken ist.

Die Schärfe des Sen­fs ist das Geschenk eines un­schein­baren Samens, der Sen­f­saat. Wenn sie aufge­ht, wuchert gelb blühen­des Un­kraut, dessen Samen die höl­lis­che Schärfe des ätherischen Sen­föls in sich bergen, geschützt von der hülle dun­kler oder hellen Schalen. Das In­nere der Schalen ist im­mer gelb und mehr oder weniger scharf. Dunkelschalige Sen­fkörn­er wer­den Schwarz­er Senf genan­nt, die hellschali­gen Weißer oder gel­ber Senf. Dun­kle Sen­f­saat en­thält die höch­ste Konzen­tra­tion von Sen­föl, aus ihr wird schar­fer Speis­esenf erzeugt. Aus weißlichen bis gel­ben Samen entste­ht milde Senfpaste.

Bester franzö­sis­ch­er Senf wird über­wiegend aus schwarz­er Sen­f­saat hergestellt, be­sitzt ein pikantes Geschmacks­bild, das Süße Säure und Salzigkeit raf­finiert ab­stimmt, ohne an Entsch­ieden­heit zu ver­lieren oder har­monis­che Langeweile zu ver­bre­it­en. Er lässt einen die Kraft des Salzes spüren, ohne ver­salzen zu schmeck­en. Seine Säure Ist nicht vorder­gründig, aber deut­lich spürbar.

Die Schärfe, die einem in die Nase fährt, ein Kribbeln aus­löst, Gau­men und Rachen streift und, plöt­zlich verebbt, wirkt un­mit­tel­bar. Darin un­ter­schei­det sich die Schärfe des ätherischen Sen­föls von der Chilis­chärfe — Let­ztere ist länger an­hal­tend, sie ver­mag sich am Gau­men einzu­nis­ten und bei Über­dosierung geschmack­liche Fein­heit­en abzutöten. Beim Senf ist ein Zu­viel nicht so tragisch, die Schärfe ist flüchtig.

Di­jon­senf ist die Eichung des guten Geschmacks. Das hat nicht allein et­was mit der geschützten Her­stel­lungsart und dem Geschäftssinn klein­er franzö­sis­ch­er Senfher­steller zu tun, die Ex­poniertheit ist oft durch geschmack­liche Sub­stanz fundiert. Of­fen­bar gibt es in Frankre­ich eine kuli­nar­ische Kul­tur, die nach Kom­plex­ität und Zus­pitzung strebt und sich selb­st beim Senf nicht mit ba­nalen Süße-Säure-Schärfe-Har­monien beg­nügt. Im Zuge dieser Sub­li­ma­tion ist mehr aus dem Senf gewor­den als die ver­dau­ungs­fördernde Beiga­be zu fet­ten Speisen. Die Sen­fver­feinerung war — wie alle äs­the­si­ol­o­gis­chen Prozesse — eine lang­wierige An­gele­gen­heit der Geschmacks­bil­dung, die wenig mit He­do­nis­mus oder Dekadenz gemein hat­te, son­dern sich im­mer wieder der Frage stellte, wie man die im Senf an­gelegten Poten­zen zum Vorschein brin­gen kann, so­dass im Zusam­men­spiel mit Speisen lebendi­ge Geschmacks­bilder entstehen.

Maßgebend wird wohl die Entschei­dung im Di­jon des 18. Jahrhun­derts gewe­sen sein, Es­sig durch Wein und den Saft zer­quetschter un­reifer Wein­beeren (Ver­jus) zu er­set­zen. So wurde die eindi­men­sion­al schmeck­ende Säure des Bran­ntwei­nes­sigs durch sauren Trauben­most und Wein­säure er­set­zt, was of­fen­bar zu mehr geschmack­lich­er Tiefe und Vi­tal­ität führt. Di­jon­senf ist nicht auf die Stadt beschränkt, beze­ich­net allein die Her­stel­lungsart. Er wird aus schwarz­er Sen­f­saat, gemacht, was dem Beken­nt­nis zu höl­lis­ch­er Schärfe gleichkommt.

Entschei­dend für die Sen­fqual­ität ist die Mahlung, die langsam er­fol­gen sollte, damit sich der Brei nicht er­hitzt. Bis heute bringt die an­tike Meth­ode, den Senf zwis­chen Mühlsteinen langsam zu mahlen, beste Qual­ität her­vor. Die in der In­dus­trie einge­set­zten Hochleis­tungsmühlen sind ef­fizien­ter, doch Schärfe und Aro­ma ver­flüchti­gen sich dabei le­ichter. So beruht die Be­liebtheit des mit­telschar­fen “Bautz’ner Sen­fs” in Ost­deutsch­land auf ein­er leg­endären Schärfe, die er längst nicht mehr hat. Heute ist es ein selt­sam süßlich­er In­dus­triesenf, der leer schmeckt. Of­fen­bar geht es nicht um Geschmack, son­dern um Sen­ti­men­tal­itäten und os­tal­gis­chen Markenkitsch.

Grobkörniger tschechis­ch­er Senf ist ein Klas­sik­er, dessen Zusam­men­spiel von entsch­ieden­er Süße und hor­ri­bler Schärfe won­nige Schauer aus­lösen kann. Man­u­fac­tum verkauft handw­erk­lich hergestell­ten “Trap­pis­tensenf” aus dem Kloster

Novy Dvur bei Karls­bad. Diesem Senf fehlen Schärfe und Fein­ab­stim­mung er lässt am Gau­men den Ein­druck von süßsäuer­lich­er Ein­falt zurück. Kloster­pro­duk­te haben für Klöster zweifel­los eine le­git­ime wirtschaftliche Be­deu­tung, doch Man­u­fac­tum in­sze­niert ihre Beson­der­heit mit de­r­art pro­fan­er Rhetorik, dass der Ein­druck entste­ht, man wolle von ein­er wieder­erwacht­en Begeis­terung der säku­laren Welt für monas­tis­che Askese und die Mys­te­rien der Re­li­gio­nen profitieren.

Die fro­he Man­u­fac­tum-Botschaft lautet: Es gibt sie noch, die heili­gen Män­ner, die euch Got­t­losen den Senf zur Wurst dazugeben.

Mit Sen­föl ver­set­ztes kandiertes Obst ist in Ital­ien sehr be­liebt. Davon wurde wohl der gras­grün gefärbte Feigensenf abgeleit­et, der wed­er Senf noch Sauce ist, son­dern eine ziem­lich kle­brige und zähe An­gele­gen­heit. Er wird meist aus püri­erten kandierten Frücht­en, Schwe­fel, Un­men­gen Zuck­er, Farb­stof­fen (E104, E133) und Sen­föl gemixt, vor­wiegend für den Ex­port pro­duziert und soll in Ital­ien kaum geschätzt sein. Feigensenf ist zu süß, ihm fehlen Schärfe, Säure und Zus­pitzung. Zu herzhaften Speisen passt er nicht, we­shalb der süße Kleis­ter meist zu Käse serviert wird und den Käsegeschmack killt. Nur eine der vie­len Ba­nal­itäten aus Bel­la Italia, die mit großem Ges­tus verkauft werden.

Keine Mode ist der “Georgsenf” Jörg Hün­dorf, der mit besten franzö­sis­chen Prove­nien­zen in ein­er Liga spielt, ohne sie zu kopieren. Senfmüller Hün­dorf, ist in der Schlachterei sein­er El­tern aufgewach­sen und sagt, das Senf et­was All­ge­gen­wär­tiges war, das über­all draufgeschmiert wurde und den Geschmack sein­er Kind­heit geprägt habe. Vor etwa zehn Jahren be­merk­te er, dass der Senf ihm nicht mehr schmeckte.

Er machte sich auf die Suche dem ver­lore­nen Geschmack der Kind­heit, mörserte Sen­fkörn­er, rührte Senf­paste, fuhr nach Di­jon — nach Jahren des Ex­per­i­men­tierens grün­dete er eine kleine Senf­man­u­fak­tur in Halle an der Saale. Er lässt schwarzen Senf von einem Biobauern aus dem Um­land an­bauen, ver­wen­det Siedesalz aus den Hal­lenser Salinen.

Am Ende ste­ht Biosenf ohne Schnickschnack, der kathar­tis­che Schärfe be­sitzt, lebendig schmeckt, edel kom­poniert ist und ver­mut­lich anspruchsvoller ist, als deutsch­er Senf je war. In dem so er­re­icht­en Geschmack sucht In­ten­sität eine An­höhe, um die Sinne plöt­zlich in die tiefe zu reißen. Die Sin­nes­fülle präsen­tiert ein bild vom Senf mit ein­er Kraft, die sprach­los macht und einen Seufz­er auslöst.

TILL EHRLICH, Jahrgang 1964, serviert die taz- Sättigungsbeilage

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