Senf, den man gern dazu gibt
Unsere monatliche Probierrunde verkostete mittelscharfe Sorten deutscher Herkunft aus dem Berliner Handel. (Der Sieger ist Georgsenf!)
Von Thomas Platt
Wenn es denn so etwas wie eine kulinarische Romantik gibt, dann gehören zu ihr ganz bestimmte Lebensmittel. Brot, Salz und Butter oder Schmalz wären wohl an erster Stelle zu nennen. Dann der Speck, der Honig und nicht zuletzt auch der Senf, der unter den „gotischen Speisen“ sozusagen die Rolle des Landsknechts einnimmt. Ähnlich wie bei Märchen und Sagen sieht die Romantik deren Urbilder sozusagen im Schoß des Volkes ruhen und feiert sie als Sinnbilder des Unverfälschten, Ehrlichen und Echten. Allerdings entfernen wir uns jeden Tag einen weiteren Schritt vom Ursprung, und in der Gegenwart bleibt sowieso kaum Raum für Mythen.
Aus dem Senf – einst Vasall der Wurst – ist längst ein Trash-Produkt geworden, und es steht in Frage, ob er diesem Status wieder wird entrinnen können. Gleich mehrere Senfmühlen, die noch vom Geist der Manufaktur beseelt sind und nach herkömmlicher Weise arbeiten, versuchen mit einigem Verpackungs-Aufwand, das Ansehen der Paste zu heben. Doch gleich die ersten Proben vom mittelscharfen Typ aus Deutschland, die die monatliche Tafelrunde im Hotel Brandenburger Hof im Beisein der Gastgeber, Chefkoch Bobby Bräuer und Direktor Markus Otto Graf, diesmal verkostete, bestätigten eine Vermutung, die nicht von ungefähr kam: Im Namen des Althergebrachten wird emsig dilettiert.
Dass die gelbe beziehungsweise braune Saat für sich genommen noch kein authentisches Ausdrucksmittel ist, spürt man am berühmten Guido Breuers „Moutarde de Montjoie Ur-Rezept“ aus dem KaDeWe deutlich; obwohl auf den Basalt-Lava-Steinen einer über hundert Jahre alten Senfmühle zweimal gemahlen, erreicht der überraschend milde, mit hohem Süßanteil versehene Geschmack des Breis nicht einmal den eines durchschnittlichen Weißwurst-Senfs. In der Salat-Vinaigrette allerdings spielt er seine Fähigkeit aus, Öl und Wasser gut zu einer dauerhaften Emulsion zu verbinden.
Noch mehr als das geschmacklich keineswegs unangenehme Erzeugnis aus der Eifel enttäuschte der Nordhäuser Doppelkorn-Senf aus der „Kunstmühle Kleinhettstedt/Thüringen“, den die Confiserie Mélanie anbietet. An der Zugabe von Schnaps hat es nicht gelegen, sondern an etwas Grünem und Unvollkommenen, das die ziemlich trockene Paste wie aus unreifen Körnern gemacht erscheinen ließ. Die zunächst stark nach vorne tretende ätherische Schärfe verdampft im Nu. Bei Mélanie stehen auch die bemerkenswerten Kräuteröle des Mecklenburger Sternekochs Michael Laumen im Regal sowie dessen „Kloster Rühn Wildkräuter Senf“ (auch bei Galeria Gourmet). Er beruht auf einer Idee, die in der Praxis aber nicht funktioniert. Denn der Versuch, Kräuter in Senf zu konservieren, führt dazu, dass sie ihrerseits den Senfgeschmack annehmen, was eine Art altfränkischen Pesto ergibt.
Schade ist es nur um den sicher gemachten Senf, der mit einer prickelnden Säure und authentischen Tönen auf einen sächsischen Konkurrenten hindeutet: Wie die vorgenannten Sorten erzeugt Jörg Hündorf seinen „Georgsenf Classic“ (aus der Galeria Gourmet am Alexanderplatz) im Kaltmahlverfahren, das der Saat mehr Eigentümlichkeit bewahrt. Doch im Gegensatz zu Breuer bezieht er seine Ware nicht aus Kanada und Schweden, sondern aus der Elsteraue südlich seiner Heimatstadt Halle sowie aus dem Hohenlohischen, und unterstützt deren vegetabil-scharfe Kontur mit Halloren-Siedesalz und etwas Rübensaft. Beim Produkt des erst seit gut drei Jahren praktizierenden Senfmüllers spürte Bobby Bräuer jugendlichen Elan. „Er prickelt und duftet, ist klar als das konzipiert, was ich lieber Mostrich als nur Senf nennen würde, und besitzt dazu noch eine Tiefe, die ich vom französischen Spitzensenf nicht kenne“, sagte der Koch des Hotelrestaurants „Quadriga“ und notierte sich die Internetadresse: www.georgsenf.de.
Wie bei der Delikatesse aus der Hallenser Georgstraße findet der Zweifel ebenfalls kaum eine Lücke bei der mittelscharfen Sorte aus der „Schwerter Senfmühle“, die von „Brot & Butter“ nach Berlin gebracht wird. Auf der Zunge fühlt der Schwerter sich saftig und beinahe schaumig an, löblich angesichts der üblichen Schwere des einheimischen Körner-Chutneys. Er zeigt echte, nicht mit Kurkuma geschönte Farbe, entfaltet aber einen gewiss edlen Essig etwas zu ausgeprägt und ist im Kernaroma ein bisschen weniger prägnant als Bräuers Liebling — insgesamt ein sicherer zweiter Platz.
Von der Realität der beiden Spitzenreiter war es ein weiter, beschwerlicher Weg für die Runde, um zu einem Senf aus industrieller Fertigung zu gelangen, der wenigstens eine lobende Erwähnung wert ist. Abgründe, die bedeutend tiefer sind als jeder Senftopf, tun sich bei jenen Marken auf, die angeblich einst der Stolz des Ostens gewesen sind – und wohl eher einen letzten Anstoß zur Republikflucht geboten haben dürften. Sowohl der von „Jütro Feinkost“ verfertigte Original Jüterboger Senf, der allgegenwärtige „Bautz’ner“ Senf sowie „Altenburger Land“ sind sich auch in ihrer heutigen, der Marktwirtschaft angepassten Gestalt irgendwie treu geblieben: Stechender Branntwein-Essig engt einem die Nüstern, während sich auf der Zunge eine unnatürliche Süße im Verein mit einer Menge Salz breitmacht. Das Senfmehl selber scheint direkt von der Streckbank der Verlängerung zu kommen – so wenig tritt es hinter einem merkwürdigen Geruch wie dem von Tulpengrün oder Blumenstielen in Erscheinung.
Dem typischen Senfton begegnet man viel eher, wenn man ein Glas mit Senfgurken zum ersten Mal öffnet und den austretenden, leicht kribbelnden, etwas an Kohl erinnernden Duft sofort mit der Nase einfängt. Er findet sich jedoch lediglich weit im Hintergrund der Supermarkt-Sorten – etwa im oxidativen „Develey“ aus dem Schlumpf-Glas oder dem pulvrigen „Thomy“. Langweilig und bar jeder Intensität verharren „Kühne“, „Frenzel“ und „Butter Lindner“, während „Heiden“ von Aldi derart mit artifiziell wirkendem Aroma zugeknallt ist, dass sich dem Hoteldirektor Graf der Verdacht aufdrängte, alle Kundenvorlieben zugleich sollten mit einem Senf sozusagen auf einen Schlag bedient werden.
„Händlmair’s“ mittelscharfer Senf irritiert mit einer ebenfalls künstlichen, mehr in Richtung Salmiak zielenden Note und „Tonoli“ Tafel-Senf im Bierseidel möchte offenbar unbedingt mit seinen Ost-Kollegen gleichziehen. „Tartex“ Delikatess Senf sowie „Neuco“ Delikatess Senf mittelscharf aus dem Bio-Supermarkt schlagen sich auch nicht viel besser – so dass „Löwensenf“ medium sowie „Zwergenwiese“ Bio-Senf ganz überraschend Ehre einlegen dürfen für den Alltags- oder Jahrmarkts-Typ.
Ersterer stellt gewissermaßen einen Daniel unter den Löwensenfen dar, der einem keine Tränen in die Augen treibt wie jener Meerrettich- Senf, der den Nimbus des Düsseldorfer Traditionsunternehmens begründete. Aus einem Gewühl von Anklängen, aus dem zunächst nur Essig wie eine Flamme schimmert, schält sich ein gerades Aroma, zu dem sich Senfpulver und Zucker verbinden. Ähnlich wie Löwensenf, aber doch noch einen Tick niveauvoller, weil weniger süß, präsentierte sich die glatte Paste von „Zwergenwiese“, die auf den dritten Platz kam. So ähnlich wie das Unbewusste dem Menschen, gibt der kontrollierte Salz- und Zuckeranteil dem Senf das nötige Gewicht, seinen Ballast, damit er nicht der Spielball von Würstchen wird.
Brot & Butter, Charlottenburg, Hardenbergstr. 4–5, Tel. 2403 3844
Confiserie Mélanie, Charlottenburg, Goethestr. 4, Tel. 313 83 30
Galeria Gourmet im Kaufhof, Mitte, Alexanderplatz, Tel. 24743–0
Brandenburger Hof, Wilmersdorf, Eislebener Str. 14, Tel. 21405–0
erschienen im “Der Tagesspiegel”, Berlin (online) — 04/2007
Foto: Runder Tisch zum Thema Senf: Quadriga-Küchenchef Bobby Bräuer beim kritischen probieren.
Doris Spiekermann-Klaas